< Interviewreihe des WPF Kulturmanagement – Teil 6: Michelle Bucher
07.01.2021 08:00 Alter: 3 yrs

Interviewreihe des WPF Kulturmanagement – Teil 7: Peter Melichar


Interview mit Peter Melichar, Kurator des vorarlberg museums (29.09.2020)

Wie hat sich Ihre Situation in der Pandemie verändert?
Es sind Ausstellungen und das Erscheinen von Büchern verschoben worden und wir wurden von der Kulturhäuser-Betriebs GmbH gebeten, möglichst viel von zu Hause zu arbeiten. Im Gegensatz zu Landesangestellten (etwa den Angestellten der Landesbibliothek oder des Archivs) wurde für uns Kurzarbeit beantragt. Für meine Arbeit als Historiker hat sich dadurch aber wenig verändert, abgesehen davon, dass ich zu Hause gearbeitet habe. Ich habe versucht, einige Aufsätze abzuschließen, die ich schon seit langem begonnen hatte. Ein Langzeit-Projekt, das ich für das vorarlberg museum mache, habe ich auch weiter vorangetrieben: Dabei geht es um eine Geschichte des Museums. Das klingt jetzt vielleicht langweilig, ist es aber gar nicht. Denn in so einem Museum prallen unterschiedliche Interessen aufeinander, leidenschaftliche Sammler stoßen auf fanatische Wissenschaftler, die alles besser wissen wollen, und gierige Altwarenhändler begegnen knausrigen Landesbeamten. Man kann in vielen Protokollen des Landesmuseumsvereins nachlesen, dass es da ziemlich lustig zuging.

Wie haben sich die Wege der Kulturvermittlung während dieser Zeit verändert?
Für mich persönlich eigentlich nicht, abgesehen davon, dass Vorträge und Führungen abgesagt worden sind. Da gab es keinen Ersatz. Abgesehen davon habe ich das, was ich sonst auch mache, vielleicht etwas forciert: Während der Zeit, in der man zu Hause bleiben sollte, habe ich mich gezielt mit einigen Leuten zum Gespräch (natürlich in gebührendem Sicherheitsabstand) getroffen, bei einem Spaziergang durchs Ried oder am See. Das macht man ja sonst zu selten. Aber der Gedankenaustausch ist gerade in einer Zeit der allgegenwärtigen hysterischen medialen Erregung ein wichtiges Gegenmittel. Dabei ist mir dann auch die Idee zu einem kleinen Artikel gekommen, wo es um das Abwägen geht.*
Ich habe in diesen Monaten auch viel fotografiert, mich dann aber dagegen entschieden, diese Fotos auf irgendwelchen Kanälen zu veröffentlichen. Ganz einfach aus dem Grund, weil die Pandemie zu einem Megaereignis der Kommunikation geworden ist, da wollte ich dann bald keinen Beitrag mehr dazu leisten, auch nicht den kleinsten.

Jetzt wird schon von einer zweiten Welle gesprochen. Wie gehen Sie damit um?
Ich beobachte die Schwierigkeiten der Leute, damit umzugehen, sei es in Schulen, wo der Ton, der „von oben“ kommt, mehr und mehr mit Drohungen versehen, gleichzeitig aber auch sehr schwammig ist. So nach dem Motto: „Macht, was ihr wollt, aber wehe, ihr macht etwas falsch und in eurem Bereich entsteht ein neuer Cluster!“ Und ich beobachte mit Interesse die Schwierigkeiten der Politiker, mit den Problemen umzugehen. Große Sorgen mache ich mir natürlich über manche Bereiche, wo die Leute durch bestimmte Maßnahmen (vom häufigen oder permanenten Maskentragen bis zum völligen Verdienstausfall bei vielen Freiberuflern) in Existenzkrisen kommen.
Obwohl ich nur in sehr eingeschränktem Maße Zeitungen lese (und gar kein Fernsehen benütze, nur selten etwas Radio höre), habe ich die Zeitungslektüre noch mehr reduziert. Dafür habe ich einige dicke Bücher über die Pest und andere Epidemien gelesen. Und von Georges Lefebvre das Buch „Über die große Angst“ in Frankreich um 1788/89, das ist sehr interessant, weil es untersucht, was durch aufkommende Gerüchte alles ausgelöst werden kann. Und fast alle Gerüchte, die damals kurz vor der Französischen Revolution aufkamen, waren falsch. Das erinnert sehr an die heutigen Verschwörungstheorien, die ich als geistige Rauschmittel bezeichnen würde.

Was sehen Sie als negative, was aber vielleicht auch als positive Auswirkungen der Krise?
Das ist vielleicht die Gelegenheit, grundlegend über die Begriffe wie „negativ“ und „positiv“ nachzudenken. Abgesehen davon, dass jedes Denken nur über Negationen funktioniert, ist es doch so, dass etwas Negatives, wie das Ausfallen und Verschieben einer Ausstellung, unmittelbar positive Effekte hat: Man kann bestimmte Dinge noch verbessern. Das Buch, das ich jetzt nicht veröffentlichen konnte, wird, wenn es nächstes Jahr erscheint, wesentlich bessere Fotos haben. Und die an sich traurige (daher „negative“) Tatsache, dass Kinder nicht in die Schule gehen konnten, hat dazu geführt, dass bei der Schule zu Hause all das, was die Kinder bislang hätten lernen sollen, aber nicht gelernt haben, zum Vorschein gekommen ist. Das Negative hat also unmittelbar Positives zur Folge, so dass man sich fragt: War nicht das Negative eigentlich immer schon das Positive?
 

*Peter Melichar: Corona und die Kunst des Abwägens, thema vorarlberg (Zugriff 25.11.2020)