Bereits im letzten Frühjahr besuchte uns im Rahmen des „Erasmus+“-Programms eine Gruppe von Schüler:innen unserer Partnerschule aus Tartu in Estland für eine Zusammenarbeit zum Thema „Cultural Heritage – a Guide for the Future?“. Nun stand der Gegenbesuch in Tartu an, und zehn Schüler:innen des Gymnasiums Schillerstraße machten sich auf den Weg in den Norden Europas.
Der frühe Vogel fängt den Wurm: Deshalb traten wir unsere Reise bereits um 2:45 Uhr in Feldkirch an. Unsere Ankunft in Tallinn, der Hauptstadt Estlands, nutzten wir für eine interessante Führung durch die historische Altstadt, die seit 1997 UNESCO-Weltkulturerbe ist. In Tallinn, einer der sichersten Hauptstädte der Welt, in der neben der estnischen Bevölkerung auch eine große russische Minderheit lebt, bekamen wir gleich einen Eindruck des sowjetischen Einflusses auf dieses Land. Durch die nördliche Lage an der Ostsee wurde die Stadt schon im Mittelalter von der Hanse genutzt. Für uns auffällig war auch die flache Landschaft, da der höchste Berg Estlands niedriger ist als die Meereshöhe, auf der unsere Heimatstadt Feldkirch liegt.
Unsere Austauschschüler:innen sowie deren Familien empfingen uns sehr warmherzig, offen und fröhlich. Am Montag starteten wir unser Programm an der Jaan-Poska-Schule. Nach einer herzlichen Begrüßung bekamen wir eine kleine Tour durch das Schulgebäude und eine spannende Präsentation über Estland. Besonders beeindruckend: Wir standen in jenem Raum, in dem 1920 die Unabhängigkeitserklärung Estlands unterzeichnet wurde. Im Gegenzug stellten wir unsere Heimat vor, mit Kurzpräsentationen über Österreich, Vorarlberg und unser Schulsystem.
Es war spannend, einmal den Unterricht mitzuerleben und Unterschiede sowie Gemeinsamkeiten zu unserem Schulalltag zu entdecken. Zum Beispiel dauern die Unterrichtseinheiten in Estland 75 Minuten. In Estland ist der Unterricht deutlich digitaler, die Klassenräume sind fachspezifisch organisiert, und es gibt viele Wahlfächer, die die Individualisierung fördern. Generell werden wie bei uns am GYS viele Fremdsprachen angeboten. Mittags stärkten wir uns regelmäßig in der Schulkantine, die uns mit gutem und günstigem Essen versorgte.
Bei einer Führung durch das historische Zentrum von Tartu bekamen wir einen guten Eindruck von der zweitgrößten Stadt Estlands. Wir sahen unter anderem den bekannten Brunnen mit den küssenden Studenten oder das schiefe Haus, das heute als Kunstmuseum dient. Da Tartu seit 2010 jährlich das „Stencibility Festival“ für Streetart hält, bei dem Künstler:innen sich kreativ in Form von kleinen Wandgemälden Stickern, etc. ausdrücken können, ist die Stadt über die letzten Jahre zu einer künstlerischen Hochburg geworden.
Durch den Besuch des Science Centers in Tartu, des Upside-Down-Hauses, das völlig auf dem Kopf gebaut wurde, und des Estnischen Nationalmuseums erhielten wir einen lehrreichen Einblick in die Geschichte, Sprache und Kultur Estlands. Was uns wohl am meisten fasziniert hat, ist, dass Estland fast während seiner gesamten Geschichte von anderen Großmächten beherrscht wurde. Seit 1991, nach dem Zerfall der Sowjetunion, ist Estland wieder unabhängig. Besonders in der angespannten Zeit des Ukrainekrieges und aufgrund der geografischen Nähe zu Russland merkt man sehr, wie stolz die estnische Bevölkerung auf ihr Land und ihre Unabhängigkeit ist und dass sie alles dafür tun wird, diesen Zustand beizubehalten.
Die ganzen Überlegungen ließen wir auch in unsere Workshops einfließen, die wir gemeinsam mit den estnischen Schüler:innen an der Schule durchführten. Es entstanden gemeinsame Videos zu Themen wie „values, faith, language oder attitude to life.
Unsere Gastgeber sorgten auch mit einem abwechslungsreichen Abendprogramm dafür, dass wir vielfältige Einblicke in den Alltag in Estland erhielten. So verbrachten wir gemeinsam einen Abend in einem Sauna-Café. Die Atmosphäre war großartig und wir konnten dabei ein Stück estnischer Saunakultur erleben. Es war die perfekte Gelegenheit, um ins Gespräch zu kommen, zu lachen und die Erlebnisse des Tages Revue passieren zu lassen. Oder wir bereiteten in unseren Gastfamilien traditionelle Gerichte vor, die wir während einer Bootfahrt auf dem Fluss Emajõgi kosteten. In unseren Gastfamilien haben wir erfahren, dass viele dieser Speisen auch schon seit Jahrhunderten tief in der estnischen Kultur verankert sind und diese speziell von Bauern und ärmeren Leuten oft gegessen wurden. Neben Süßspeisen wie Kama, einer Mischung aus aufgeschlagener Sahne und verschiedenen Mehlen, die meist mit gefrorenen Beeren getoppt wird, einem typischen Biskuitkuchen und kirju koer, einem Dessert aus zerbrochenen Keksen, Marmeladewürfeln, Butter und Kakaopulver, waren auch viele pikante Speisen wie deviled eggs und sprat sandwiches dabei.
Es war ein abwechslungsreicher und spannender Austausch mit vielen neuen Eindrücken, die wir so schnell nicht vergessen werden!